09/1999

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PulsSchlag
Informationsblatt der Medizinischen Einrichtungen der Universität Münster
Ausgabe 09/1999 (November 1999)


Foto: Angst vor dem Zahnarzt
Angst vor dem Zahnarzt ist bei Kindern (und auch bei Erwachsenen) in Brasilien weit verbreitet - zumal selbst schmerzhafte Behandlungen oft ohne Betäubungsmittel erfolgen.

"Oft half nur noch Zähne-Ziehen"

Doktorand der ZMK arbeitete als Zahnarzt in Brasilien

"Eigentlich hatte ich erwartet, daß die Behandlungen mit weitaus größeren Komplikationen verbunden seien", blickt Thomas Adelt, Doktorand an der Klinik für Mund- und Kiefer-Gesichtschirurgie auf eine dreiwöchige Tätigkeit als Landzahnarzt in Brasilien zurück. Zwar hätten die Behandelten häufiger als in Deutschland Karies, entzündete Zähne und Wurzelspitzen; auch sei das Krankheitsbild allgemein fortgeschrittener, aber er habe nichts behandelt, was ihm in Deutschland nicht auch schon "untergekommen" sei. Den Grund dafür, dass der Zustand der Zähne trotz mangelhafter ärztlicher Versorgung besser war als von ihm erwartet, sieht Adelt in der weiten Verbreitung von Zahnbürste und Zahnpasta unter der Bevölkerung selbst bis in die kleineren Dörfer.

Zusammen mit drei Kollegen aus Deutschland arbeitete der 29-jährige kürzlich in verschiedenen Dörfern in der weiteren Umgebung der Stadt Imperatriz im Bundesstaat Maranhao im Nordosten des südamerikanischen Landes. Schon während seine Studiums hatte Adelt den Wunsch, zahnärztlich einmal in einem Land tätig zu sein, das über ein anderes oder - wie in Brasilien - über kein besonders ausgebildetes Gesundheitssystem verfügt. Zahnärzte gibt es in dem südamerikanischen Land nur in den Städten. Zudem sind sie für die arme Landbevölkerung nicht zu bezahlen. Größere Dörfer verfügen zwar häufig über eine Medizinstation. Diese ist allerdings oft verwaist. In die kleineren Dörfer verirrt sich nur selten ein Arzt.

Die Gelegenheit, Menschen zu helfen, die bedürftig sind und sich sonst keine zahnärztliche Behandlung leisten können, eröffnete sich über einen Freund, der schon im vergangenen Jahr in Brasilien gearbeitet hatte. Organisiert wurde der Aufenthalt von einer Entwicklungshilfeorganisation der Adventisten-Kirche.

Thomas Adelt war im voraus klar, dass er und seine Kollegen in Brasilien nicht die technische Ausstattung wie in Europa vorfinden würden. Zumindest war er bei seiner ersten Tätigkeit in einem Entwicklungsland aber in der Lage, in den Medizinstationen und der mobilen Zahnarztpraxis, mit der sie über die Dörfer fuhren, eine zahnärztliche Basisdiagnose und -therapie durchzuführen. Doch über das Bohren und das Anfertigen von Füllungen kam Adelt bei der Zahnerhaltung nicht hinaus. Andere Behandlungsmethoden waren zu aufwendig und daher vor Ort gar nicht durchzuführen. So konnte er die Patienten weder röntgen noch war eine prothetische Behandlung wie das Anfertigen einer Krone oder eine Wurzelbehandlung möglich. Daher kam oft nur das Ziehen der Zähne in Frage.

Doch die deutschen Ärzte wurden noch mit einigen anderen ungewohnten Problemen konfrontiert. So mussten sie sich zunächst an das andere Verhältnis der Brasilianer zur Zeit gewöhnen. "Wenn wir morgens um acht Uhr mit unserem Wagen starten wollten, konnte es durchaus sein, dass die brasilianischen Begleiter erst mittags erschienen", berichtet Adelt. Die schlechten Straßenverhältnisse - Brücken bestanden oft nur aus Baumstämmen - verzögerten zudem die Fahrt in die einzelnen Dörfer. Vor Ort angekommen, waren Strom, Licht und Wasser nicht immer vorhanden oder fielen für mehrere Stunden aus. "Diese Probleme führten dazu, dass in der ersten Woche fast nichts geklappt hat", erzählt Adelt. Doch mit der Zeit konnten diese technischen Schwierigkeiten behoben werden, so dass er am Ende in der Lage war, täglich fast 30 Patienten zu versorgen.

Im Endeffekt so viele Patienten behandeln zu können, war aber nur deshalb möglich, weil den vier Deutschen brasilianische Zahnarzthelferinnen zur Seite standen. Aber obwohl man sich nicht
Foto: Mobile Zahnarztpraxis
Mit der mobilen Zahnarztpraxis über die Dörfer - Brücken bestehen oft nur aus Baumstämmen.
verständigen konnte - weder sprach Adelt Portugiesisch noch konnten die Brasilianer Englisch geschweige denn Deutsch - klappte die Zusammenarbeit hervorragend. Ohne daß ich etwas gesagt hatte, wußten sie bei fast jedem meiner Handgriffe, was sie zu tun hatten, lobt Adelt die einheimischen Zahnarzthelferinnen.

Diese blinde Verständigung funktionierte auch deswegen, weil sich die Behandlungsmethoden in Deutschland und Brasilien kaum unterschieden. Einheimische Naturheilverfahren werden nicht praktiziert. Allerdings gehen die brasilianischen Zahnärzte gewöhnlich grober als in Deutschland vor. Eine Behandlung ohne ausreichende Betäubung ist durchaus normal, da entsprechende Mittel oft nicht vorhanden seien. Daher hat Adelt bei vielen Kindern und jungen Erwachsenen immer wieder eine große Angst festgestellt, wenn ihnen ein Zahn gezogen werden sollte. "Bei ihnen war dies wohl immer mit der Vorstellung großer Schmerzen verbunden", vermutet er.

Ansonsten sei die Beziehung der Brasilianer zum Arzt, aber auch zur Krankheit eine andere als in Deutschland. Wenn Frauen mit Mitte 20 nur noch zehn Zähne pro Kiefer haben, störe das Niemanden. Fehlende Zähne würden als normal empfunden. Zudem habe ihn der enge menschliche Kontakt in Brasilien beeindruckt. So wurde man in den Dörfern freundlich und mit offenen Armen empfangen, war sofort von einer Traube von Menschen, vor allem von Kindern, umringt. Nach der Behandlung, auf die die Patienten geduldig warteten, erhielt er sehr häufig persönliche Anerkennung und Dank, ein Aspekt, der in Deutschland immer seltener zu finden ist. "Hier muss es schnell und perfekt sein ohne weh zu tun", meint Adelt. Die zahnärztliche Behandlung ist nur noch eine ganz normale Dienstleistung.

Was nimmt Adelt von seinem Aufenthalt in Brasilien für seine zukünftige Arbeit mit nach Deutschland? Er habe gelernt, zu improvisieren, und mit weniger technischen Mitteln auszukommen. Und vor allem: "Man wird routinierter im Extrahieren von Zähnen."

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